Kirchenasyl praktisch

Wir weisen auf unsere Handreichung KIRCHEN.ASYL hin, die Sie bei uns bestellen können.

Praktische Informationen zur Durchführung eines Kirchenasyls

Das „Kirchenasyl“ ist eine jahrhundertealte Schutz­tra­dition, aus der heraus sich seit 1983 eine Art Institution entwickelt hat und schon mehreren tausend Menschen das Leben gerettet hat. Es ist ein zeitlich befristeter Schutz von Geflüchteten ohne legalen Aufenthaltsstatus, denen bei Abschiebung nicht hinnehmbare soziale, inhumane Härten drohen. Auch innerhalb Europas kann eine Abschiebung erfolgen: Es kann in das erste „Ankunftsland“ in Europa abgeschoben werden, so dass auch dann der Schutz durch eine Gemeinde wichtig werden kann (bei sogenannten Dublin III-Verfahren). Während des Kirchenasyls werden alle in Betracht zu ziehenden rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkte geprüft. In vielen Fällen gelingt es nach­zu­weisen, dass Entscheidungen von Behörden überprüfungsbedürftig sind und ein neues Asylverfahren erfolgversprechend ist. Etwa 70-80% aller Kirchenasyle führten dazu, dass eine Lösung gefunden wurde, Menschen vor menschen­rechts­widrigen Härten und Gefahr für Leib und Leben zu bewahren.

Eine Kirchengemeinde oder Ordensgemeinschaft stellt den Raum (Wohnen, Kochen, sanitäre Einrichtung) zur Verfügung, der nicht zwingend ein litur­gisch­er Raum sein muss, sondern im kirchlichen Eigentum befindlich sein muss. Als Unterbringungsraum kann eine Kirche, ein Pfarrhaus oder ein Gemeindezentrum oder sonstige zur Gemeinde gehörenden Räumlichkeiten dienen. Die Gemeinde ist der Schutz und bietet den Schutzort. Sie mobilisiert auch einen UnterstützerInnen-Kreis, der den Pfarrei­rat/Pres­byterium und die kirchlichen MitarbeiterInnen entlastet und den betroffenen Geflüchteten im Alltag zur Seite steht. Der Aufenthalt im Kirchenasyl wird vereinfacht, wenn für die Betroffenen sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden können.

Es ist zwar von Vorteil, wenn Hauptamtliche an dem Rechtswegeprozess be­teiligt sind (Verhandlungen mit RechtsanwältInnen und Behörden); es ist aber auch möglich, dass ausschließlich Beratungsstellen die Rechtsberatung übernehmen. Auch die Finanzierung des Kirchenasyls muss nicht alleinige Auf­gabe der Kirchengemeinde sein, sondern kann auf mehreren Schultern verteilt werden.

Die Verantwortung für ein Kirchenasyl tragen die entscheidenden Gremien. Beim Durchführen eines Asyls in der Kirche kann das Gewissen von Christ­Innen in Widerspruch zu staatlichen Regelungen und Maßnahmen geraten und zu Verstößen gegen gesetzliche Bestimmungen führen. Jedoch sind Er­mit­tlungs­verfahren bislang in aller Regel eingestellt worden.

Die Vorbereitung eines Kirchenasyls

Bevor der Pfarreirat, der Kirchenkreisvorstand, das Presbyterium oder der Vorstand einer Einrichtung jemandem Kirchenasyl anbietet, sollte mit Hilfe einer AnwältIn geklärt sein, ob unmittelbar eine Abschiebung droht, d.h. dass es keine Duldung oder Aufenthaltsgenehmigung mehr gibt. Danach muss eine AnwältIn oder AsylberaterIn prüfen, ob Chancen für eine Lösung gesehen werden, die eine Abschiebung vermeiden kann, wie z.B. rechtliche Verfahren, Härtefallanträge, Petitionen, Weiterwanderung u.a.

Mit den von Abschiebung Bedrohten muss besprochen werden, ob sie bereit sind, die eingeschränkten Lebensbedingungen während des Kirchenasyls auf sich zu nehmen: Es gibt für sie keine öffentlichen Zuwendungen, sie sind nicht kranken­versichert, angewiesen auf die Hilfe anderer, können das Kirchen­ge­lände in vielen Fällen nicht verlassen und brauchen daher Möglichkeiten um ihre Zeit zu verbringen (Besuche, Computerkurse, Deutschunterricht, krea­tiv­es Arbeiten, Teilnahme an Gemeindeaktivitäten etc.).

Nach Beratung mit Fachleuten gibt es einen offiziellen Beschluss des Kirchenvorstands, des Presbyteriums oder des Vorstands der Einrichtung, der auch eine Dau­er (ein bestimmtes Datum oder das Ende eines Verfahrens) festlegen sol­lte. Um rechtliche Konsequenzen für die Gremienmitglieder zu erschweren wird hierzu meist eine geheime Abstimmung mit Gegenstimmen oder Ent­haltungen durchgeführt, wodurch eine Unschuldsvermutung gegenüber allen Mitgliedern des Gremiums besteht.

Die Gemeinde klärt die Unterbringungsmöglichkeit und Mittel für die Unter­kunft, Lebenshaltung und rechtliche Unterstützung bereitstellen zu können, bzw. dies bei anderen Gemeinden oder dem lokalen Arbeitskreisen ein­zu­werben.

Es kann sein, dass Menschen schon im irregulären Aufenthalt sind. Hier sind kurzfristige individuelle Unterbringungen in einer Gemeinde oder in kirchlichen Gästewohnungen hilfreich, um zunächst in Ruhe Perspektiven zu klären und dann erst zu entscheiden, ob ein Kirchenasyl in Frage kommt.

Beim Beschluss zur Durchführung eines Kirchenasyls muss umgehend per Fax oder Email die zuständige Ausländerbehörde, das BAMF und das zuständige Sozialamt über das Kirchenasyl und die „ladungsfähige Anschrift“ (Adresse des neuen Wohnortes der im Schutz Be­findlichen) informiert werden. Dies eilt, da ansonsten die Personen als „unter­getaucht“ eingestuft werden und Fristen sich massiv verlängern können. Ebenso müssen die AnsprechpartnerInnen in der Landeskirche oder dem zustän­digen katholischen Länderbüro informiert werden, da diese die Kommunikation mit dem BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) über­nehmen. Für die kirchlichen Stellen soll seit 2015 eine Dokumentation (mit Kopien der persönlichen Dokumente, Bescheide der Behörden, ggf. gericht­liche Entscheidungen etc.) zur Vorlage beim BAMF vorgelegt werden, in dem der Härtefall (die drohenden Menschenrechtsverletzungen, bzw. indi­vi­du­ellen Härten) dargestellt wird. Auch die Geschäftsstelle der Bundes­arbeits­gemeinschaft Asyl in der Kirche kann in die Beratungen einbezogen werden und sollte zeitnah über den Beschluss zum Kirchenasyl in Kenntnis gesetzt werden.

Es sollte zu diesem Zeitpunkt auch entschieden werden, ob aus strategischen Gründen ein „stilles Kirchenasyl“ durchgeführt wird, bei dem die Presse nicht informiert wird, sondern nur die behördlichen und kirchlichen Stellen, um mehr Verhandlungsspielraum zu bewahren. Ansonsten gilt meist: je mehr Öffentlichkeit, desto mehr Schutz.

 

Die Durchführung eines Kirchenasyls

Es ist sehr wichtig, dass ein Kirchenasyl in einer Gemeinde auf viele Schultern verteilt wird, da ein Kirchenasyl teilweise einige Monate dauern kann. Zur Aufarbeitung des Falles und zur Begleitung der Betroffenen wird ein Unter­stützer­Innenkreis benötigt, der sich kontinuierlich trifft. Dabei ist es vorteil­haft, wenn es eine Absprache über Aufgabenverteilung und die Benennung eines SprecherInnen-Teams gibt, das sich regelmäßig über das Vorgehen ab­stimmt. Der UnterstützerInnenkreis sollte beachten, dass die Geflüchteten so viel wie möglich eigenständig tun, da Überversorgung, Überbehütung und Entmündigung ihre Lebenssituation verschlechtern.

Kommt es zum Krankheitsfall, besteht in der Regel kein Anspruch auf Behand­lung. Erfahrungsgemäß erklären sich jedoch meist ÄrztInnen in der Gemeinde oder anderweitig bekannte ÄrztInnen zu Behandlungen ohne Krankenschein bereit. Beratungsstellen oder lokale Büros für medizinische Flüchtlingshilfe können gegebenenfalls helfen.

Die Kinder im Kirchenasyl haben das Recht auf Schule. Wenn möglich, sollten sie ihre bisherige Schule auch weiter besuchen, um Kontakte bestehen zu las­sen. Andernfalls sollte versucht werden, in den dem Kirchenasyl benachbarten Schulen einen Schulbesuch zu organisieren. Bei kleineren Kinder ist es even­tu­ell in kirchlichen Kinderbetreuungseinrichtungen möglich aufgenommen zu werden. Denn gerade für Kinder kann der Aufenthalt im Kirchenasyl sonst problematisch werden.

Grundsätzlich gilt für die Zeit des Kirchenasyls, dass der Schutz (der nie 100%-ig ist!) nur in den Räumlichkeiten der Kirchengemeinde oder des Klosters besteht. Dennoch ist es den Betroffenen möglich vor die Tür zu gehen. Gerade um psychisch dem Druck während des Kirchenasyls Stand zu halten, sind Spaziergänge oder sportliche Aktivitäten notwendig. Das Büro der Kirchengemeinde sollte hierzu eine Bescheinigung über das Kirchenasyl mit den entsprechenden Kontaktdaten ausstellen.

Die schutzsuchenden Flüchtlinge brauchen eine anwaltliche Vertretung, die auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisiert ist und bereit ist, mit der Gemeinde zusammenzuarbeiten. Wichtig sind auch vertrauenswürdige Dolmetscher­Innen. Hier ist auf geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe zu achten (Frauen für Frauen).

Der Dialog zwischen Kirchengemeinde und Behörden sollte möglichst nicht abreißen: Das Ziel, die Abschiebung zu verhindern, kann am besten mit, nicht gegen die Behörden erreicht werden.

Die Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Teil in der Kirchenasylarbeit, da in vielen Fällen die Öffentlichkeit den erfolgreichsten Schutz bietet. Hierbei muss grundsätzlich zwischen dem Schutzbedürfnis des Geflüchteten und der Öffentlichkeit des Kirchenasyls verantwortlich abgewogen werden. Es braucht deshalb klare Absprachen, ob, durch wen und wie Öffentlichkeit hergestellt wird. Das können neben Pressemitteilungen und -gesprächen, gegebenenfalls fantasievollen öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Demonstrationen (ge­mein­sam mit lokalen Gruppen der Asyl- und Flüchtlingsarbeit und promi­nenten UnterstützerInnen) auch Kulturveranstaltungen sein: Dichterlesungen, Konzerte, Theater und internationale Feste.

Auch eine feste Integration des Kirchenasyls in den Gemeindealltag ist für das Gelingen von Vorteil. Gemeindeglieder können für unterschiedlichste Betei­ligungs­formen gewonnen werden, von der Kaffeespende über Hausauf­gaben­hilfe bis zur Podiumsdiskussion. Notwendig sind hierfür regelmäßige Zwischen­berichte an die Gemeinde, an Nachbargemeinden, Netzwerke und die kirchlichen Leitungsgremien.

Rechtlich kann sich während des Kirchenasyls ergeben, dass ein Härtefallentscheid, ein Asylfolgeantrag, weitere Klagemöglichkeiten durch neue Fakten bei den Fluchtgründen, Gesundheitsgutachten, Nachfluchtgründe und Integrationsstellungnahmen ermöglicht wird. Beratung hierbei geben Anwält­Innen, Beratungsstellen und lokalen Kirchenasyl-Arbeitskreise sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche. Doch auch der Austausch mit anderen Gemeinden mit Kirchen­asyl­er­fahrung kann die eigene Arbeit sehr bereichern und zur verbindlichen Kon­tinuität ermutigen.

 

Abschluss eines Kirchenasyls

Der Beschluss zum Kirchenasyl sollte auch beinhalten, wie lange es angeboten werden soll und mit Ablauf dieser Frist kann gegebenenfalls noch einmal beraten werden, ob das Kirchenasyl fortgesetzt oder beendet werden soll.

Bei positivem Verlauf (Duldung oder Anerkennung) gehen die Geflüchteten in Wohnraum oder öffentliche Unterkünfte zurück. Ein gemeinsames Fest kann ein gelungener Abschluss eines Kirchenasyls sein und es bietet sich eine ab­schließende Presseberichterstattung an. Wird jedoch keine Aufhebung der Abschiebungsandrohung erreicht, müssen sie die Entscheidungen treffen, wie es für sie weitergeht (Verlassen der kirchlichen Obhut, Zurückkehren ins Herkunftsland). Auch wenn die Kirchenasyl gewährende Gemeinde dann aus ihrer unmittelbaren Verantwortung entlassen ist, gibt es vielfach auch Beispiele von Gemeinden, die die Menschen auf ihrem Weg weiter unterstützt haben.

Im Interesse einer aktuellen und umfassenden Dokumentation bittet die Bun­des­arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, vom Ausgang des Kirchenasyls unter­richtet zu werden. Hilfreich für deren Öffentlichkeitsarbeit und Archiv sind darüber hinaus Hinweise auf Presseberichte.

Wie auch immer die Aufnahme von Menschen ins Kirchenasyl ausgegangen ist, sollte sich die Gemeinde mit dem Ergebnis befassen, um positive Impulse für das gesamte Gemeindeleben bewusst zu machen und negative Erfahr­ungen aufzuarbeiten. Es ist auch ratsam zu klären, ob eine ähnliche Aktion wieder­holt werden kann oder ob die Kräfte erschöpft sind.

In manchen Gemeinden entsteht durch die Kirchenasylarbeit eine langfristige Flüchtlingsunterstützung, was in den meisten Fällen das Gemeindeleben (re-)vi­talisiert und das Selbstverständnis positiv verändert.