Rede anlässlich der Preisverleihung des Papst Johannes XXIII.-Preises an das Netzwerk Kirchenasyl Münster am 15. Juni 2019 von Benedikt Kern
Papst Johannes XXIII. hat 1962 das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet unter dem Motto des Aggiornamento – was soviel heißt wie Aktualisierung oder auf den Stand bringen. Und damit verbunden war für ihn, dass er die Fenster der Kirche weit aufreißen wollte, um frische Luft reinzulassen, die alles aufwirbelt, vielleicht mit Zug auch Türen zuzuschlagen, Mief rauszulassen…
Frische Luft lassen die vielen Kirchengemeinden und Klöster hinein, wenn sie sich durchwirbeln lassen von der jeweiligen Situation von Menschen, denen eine Abschiebung droht und die vor inhumanen Härten geschützt werden müssen. So manch einer Gemeinde ist schon der Mief ihres Immer-Weiter-So durch ein Kirchenasyl aus dem offenen Fenster rausgezogen.
Seit fast fünf Jahren hat unser Netzwerk Kirchenasyl Münster zahlreiche von Abschiebung gefährdete Menschen beraten, viele von ihnen in ein Kirchenasyl vermittelt, sie in dieser Zeit praktisch und rechtlich unterstützt und nach Folgeperspektiven gesucht. Wir haben Presbyterien, Kirchenvorstände, Pfarreiräte, Hauptamtliche, Flüchtlingsberatungsstellen, AnwältInnen und UnterstützerInnenkreise ermutigt, beraten, motiviert, herausgefordert, machmal konfrontiert – vielleicht an einigen Stellen sogar auch politisiert. Wir sind gerade bei hoch akuten und dramatischen Fällen immer wieder bis an die Kapazitätsgrenzen unserer eigenen Kräfte gegangen im Wettlauf gegen die Zeit, gegen die Behörden, gegen die Verzweiflung der Betroffenen.
Immer wieder haben wir uns die Frage gestellt, ob unsere Kirchenasyle nicht ein Tropfen auf den heißen Stein sind? Und trotzdem machen wir weiter. Denn die Verhältnisse lassen uns keine andere Wahl.
Zwar kommt kaum noch jemand durch die Außengrenzen nach Europa, die Abschiebungen nehmen in Deutschland trotzdem zu. Die massiven Grundrechtskürzungen im Asylrecht seit spätestens 2015 haben den rechtlichen Rahmen geliefert, damit das – ironischerweise «Integriertes Rückkehrmanagement» – genannte Abschiebesystem reibungsloser funktioniert als vorher.
Im Jahr 2018 gab es bundesweit 23.600 Abschiebungen, davon 9200 Dublin-Überstellungen. Allein über den Flughafen Düsseldorf fast 5000 Luftwegabschiebungen. 2800 Menschen wurden nach Italien überstellt,753 nach Frankreich und 690 nach Polen. In Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Italien und Kroatien erwartet sie Obdachlosigkeit, mangelnde Gesundheitsversorgung, unzureichender Zugang zu Bildung und Arbeit. Wie kann es sein, dass in Rumänien Geflüchtete gezwungen sind im Winter in der Kanalisation zu schlafen, dass es zu systematischen Inhaftierungen in Bulgarien und Polen kommt und 80% aller geflüchteter Frauen in Italien in der Prostitution landen?
Unerträglich ist es dann, wenn Behörden diese Abschiebungen mit umso größerem Eifer planen und durchführen. Durch Akteneinsicht in behördeninterne Vorgänge des Falles eines Mannes, der nach Algerien abgeschoben werden sollte und kurz nach seiner Festnahme mit Handschellen gefesselt vom Parkdeck der Ausländerbehörde Schwelm gesprungen ist und sich dabei lebensbedrohlich verletzte, konnten wir uns erst jüngst ein Bild davon machen, mit welch autoritärem Zynismus die Behörden hier vorgehen.
Deswegen ist die Praxis des Kirchenasyls heute so notwendig – und wird immer notwendiger. Weil sie in vielen Fällen die letzte Chance für eine humane Perspektive bietet. Je schwieriger die Ausgangslage ist, desto wichtiger ist auch der Kampf um das Kirchenasyl.
Es ist überhaupt nicht verwunderlich, dass von Behördenseite das Kirchenasyl zunehmend angegriffen wird. Gemeinden werden unter Druck gesetzt durch Räumungsankündigungen, wie Anfang 2019 in der ev.Kirchengemeinde in Solingen. Bürokratische Auflagen erschweren Gemeinden zunehmend die Kirchenasylpraxis und schrecken immer mehr Gemeindegremien und Hauptamtliche ab. Kriminalisierungsversuche in Bayern und Rheinland-Pfalz sowie Hausdurchsuchungen in Pfarrräumen im Hunsrück sorgen für weitere Abschreckung.
Einer der Gründe für diese Entwicklung der Angriffe auf das Kirchenasyl ist aus unserer Sicht, neben der allgemein sich zuspitzenden asylpolitischen Situation und der schleichenden Normalisierung rechter und extrem-rechter Positionen im öffentlichen Diskurs, die Vereinbarung zum Kirchenasyl zwischen den beiden großen Kirchen und dem BAMF von Februar 2015. Nach der vernichtenden Kritik am Kirchenasyl durch Innenminister de Maizière und der Androhung, die Dublin-Überstellungsfrist im Kirchenasyl auf 18 Monate zu verlängern, wurden die Kirchenleitungen nervös und haben sich dazu hinreißen lassen, dem Kirchenasyl einen bürokratischen Rahmen zu verpassen. Sie ließen sich darauf ein zu beteuern, das Kirchenasyl sei in keiner Weise eine prinzipielle Kritik am menschenverachtenden Dublin-System, das Europa zu einem Verschiebebahnhof macht. Sondern es gehe nur um besonders schlimme Einzelfälle, die natürlich völlig singulär seien und keine systemischen Gründe hätten (dies zum Stichwort 14.000 obdachlose Geflüchtete in Italien, Masseninhaftierung in Bulgarien oder konsequente Kettenabschiebungen über Schweden und Dänemark nach Afghanistan, den Irak und nach Somalia). Um diese absoluten Einzelfälle nachzuweisen ließen sich die Kirchen darauf ein, in jedem Fall ein Dossier zu erstellen, indem das BAMF um Gnade gebeten wird. Überspitzt gesagt: Das Kirchenasyl soll als Mittel zum Qualitätsmanagement des BAMF einzelne Verfahrensfehler ausbügeln. Wenig verwunderlich ist: seit Anfang 2019 werden gerade mal 1,4% aller Dossiers positiv beschieden,das heißt in dieser verschwinden geringen Anzahl gibt es Gnadenerweise des Bundesamtes. Ja, so gesehen gibt es für das BAMF nur absolute Einzelfälle, in denen ein Kirchenasyl legitim sein könne.
Hinzukommt, dass die Innenministerkonferenz, vorne weg der Innenminister des unter grüner Regierungsbeteiligung regierten Schleswig-Holstein, vor einem Jahr entschieden hat, dass in allen Kirchenasylfällen, in denen diese Dossiers abgelehnt werden, also 98,6%, genau das passiert, womit man den Kirchen 2015 noch drohen konnte: Die Frist die es mit dem Kirchenasyl zu überbrücken gilt verlängert sich nun von sechs auf18 Monate. Auch wenn wir im Moment in 70% dieser Fälle erfolgreich gegen die Verlängerung der Überstellungsfristen auf 18 Monate klagen und somit Recht bekommen gegenüber dem BAMF, hat dieses Damoklesschwert verlängerter Kirchenasyle eine abschreckende Wirkung auf Gemeinden.
Dieser geschickte Winkelzug der staatlichen Stellen war sogar so gut vorbereitet, dass die Kirchen ihn ohne jeden Protestschrei hingenommen haben – die von uns im Juni letzten Jahres lancierte Erklärung gegen die Verschärfungspolitik gegen das Kirchenasyl wurde von den Kirchenleitungen nicht unterstützt, wir bekamen vielmehr Gegenwind aus den Bistümern und Landeskirchen. Die Vereinbarungen zwischen Kirchen und BAMF wurden somit einseitig quasi aufgekündigt. Der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche bei der Bunndesregierunghat uns gegenüber im vergangenen Herbst diese mutlose Haltung der Kirchen ohne mit der Wimper zu zucken verteidigt. Auf Seiten der katholischen Kirchenleitung sieht es nicht anders aus. Die Deutsche Bischofskonferenz hat im Januar 2019 eine Überarbeitung ihrer Handreichung zum Kirchenasyl veröffentlicht und darin Kriterien für Kirchenasylfälle fomuliert, die beinahe die dies BAMF noch übertreffen: Bei allem Respekt der Bischöfe gegenüber den Kirchenasyl gewährenden Gemeinden, werden sie nicht müde zu betonen, dass es nur in äußerst schwerwiegenden und seltenen Fällen zu Kirchenasyl kommen kann. Und dann auch nur, wenn die Betroffenen den Kirchengemeinden bereits gut bekannt sind. Völlig illusorisch in Dublin-Fällen, wo es manchmal nach nur wenigen Wochen nach der Einreise und der Zwangskasernierung in zentralen Lagern (ohne wirklichen Außenkontakt) zur Abschiebung in einen Dublin-Zielstaat kommt.
Die Gefahr der Einhegung und Regelung und damit auch Bürokratisierung des Kirchenasyls liegt aus unserer Sicht auf der Hand. Und die Entwicklungen der letzten Zeit haben unseren Befürchtungen leider Recht gegeben. Die Kirchenleitungen lassen sich vom BAMF dazu nötigen, den Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften restriktive Regeln aufzudrücken. Es ist für uns immer wieder eine Herausforderung, nicht nur gegen die Behörden, sondern auch gegen die Kirchenasyl-Vermeidungsstrategie der Kirchenverwaltungen anzukämpfen. Die Leidtragenden sind einmal mehr die Menschen, die dringend ein Kirchenasyl suchen und nur in seltenen Fällen einen Platz finden können. Gerademal 1/5 aller dringlichen Anfragen,können von uns in NRW in ein Kirchenasyl vermittelt werden. Aktuell haben wir ca. 120 Menschen auf der Warteliste, die jederzeit ins Ungewisse abgeschoben werden können.
Die Zahl der Menschen im Kirchenasyl ist bundesweit seit Januar 2018 mit 855Personen auf 671 Personen aktuell zurückgegangen. In NRW haben wir derzeit die meisten Kirchenasyle mit 205 Menschen, davon 6 derzeit im Stadtgebiet Münster.
Wenn die Luft für das Kirchenasyl dünner wird, erscheint es uns um so stärker geboten, dass wir uns gegen die Einhegungs- und Kontrollversuche durch die staatlichen Stellen organisieren. Dass wir uns nicht vereinzeln lassen. Dass wir Netzwerke gründen. Dass wir Kirchengemeinden anstiften und ermutigend begleiten. Dass wir Konflikte mit den staatlichen Stellen und ihren Gesetzen eingehen.Dass wir dem Unrecht etwas entgegensetzen.
Dass wir also deutlich machen: Das Kirchenasyl war von seiner Gründungsgeschichte vor 35 Jahren her immer eine Praxis des Zivilen Ungehorsams. Kirchenasyl kann kein quasi-rechtliches Verfahren sein, sondern es steht in Opposition zu entmenschlichenden Abschiebegesetzen und bezieht seine Stärke gerade aus der Dispensierung der herrschenden Gesetze, die Menschen fundamentaler Grundrechte berauben. In einem Land, in dem Menschen ins Elend und die Perspektivlosigkeit mit legalen Mitteln abgeschoben werden, ist es legitim, diese legalen Mittel infrage zu stellen, sie auszuhebeln und ihnen Solidarität entgegenzustellen.
Mir persönlich ist gerade eine theologisch und menschenrechtlich fundierte Begründung dieser ungehorsamen Praxis wichtig und ich stelle immer wieder fest,dass eine theologische Reflexion und Selbstvergewisserung in diesen Fragen für Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften wesentlich tragfähiger und ermächtigender ist, als allein juristische Abwägungen und Winkelzüge.
Ich bin der Überzeugung, dass je mehr Kirchenasyl gewährende Gemeinden ihre Praxis als eine prophetische Praxis verstehen – die entlarvt, anklagt und Solidarität praktisch werden lässt – sie um so überzeugter in Konfliktsituationen auftreten können.
Wenn wir wissen was wir tun, dann können wir auch für die Rechte Geflüchteter einstehen. Wenn wir wissen auf was es ankommt, können Staatsanwaltschaften gegen uns ermitteln. Wenn wir wissen, dass es um Menschenleben geht, lassen wir uns von Rückschlägen nicht entmutigen.
Dass heute einige aus ehemaligen Kirchenasylen hier anwesend sind, ist die größte Ermutigung dafür, dass wir nicht locker lassen dürfen. Dass wir an der Forderung für globale Bewegungsfreiheit und eine autonome Entscheidung über den eigenen Aufenthaltsort festhalten. Dass wir Menschenrechte erkämpfen, bis sie wirklich zu ihrer Geltung kommen. Dass wir in die Alternativlosigkeit des Immer-weiter-so nicht einstimmen und mit der gegenseitig erfahrenen Solidarität schon etwas davon erfahren können, wie wir Gesellschaft jenseits des zerstörerischen Kapitalismus ganz anders organisieren könnten.
Ich bedanke mich bei allen, die uns in den letzten Jahren unterstützt haben und bei all denen, mit deren Zuspruch und tatkräftiger Hilfe wir weitermachen werden und es uns nicht verbieten lassen werden so lange es verdammtnochmal notwendig ist, Menschen zu schützen und kompromisslos für ein gutes Leben für alle zu kämpfen.